Fiktive Einkünfte

Im Unterhaltsrecht spielen fiktive Einkünfte eine wichtige Rolle, wenn es um die Berechnung der finanziellen Leistungsfähigkeit einer unterhaltspflichtigen Person oder eines Unterhaltsberechtigten geht. Unter bestimmten Umständen wird ein Einkommen fingiert, wenn eine Verletzung einer Obliegenheit zur Einkommenserzielung vorliegt, d.h. wenn der Betroffene seine Möglichkeiten zur Einkommenserzielung nicht ausreichend ausschöpft. Fiktive Einkünfte werden dann als Grundlage zur Festlegung der Unterhaltsansprüche herangezogen. Dies kann sowohl den Unterhaltsberechtigten als auch den Unterhaltsverpflichteten betreffen und beruht auf der Annahme, dass eine Person unter normalen Umständen in der Lage wäre, ein bestimmtes Einkommen zu erzielen. In diesem Kontext sind verschiedene Obliegenheiten wie Erwerbsobliegenheit, Vermögensnutzungsobliegenheit und die Verwertung von Vermögenswerten von zentraler Bedeutung. Im Folgenden wird beleuchtet, unter welchen Voraussetzungen fiktive Einkünfte im Unterhaltsrecht angewendet werden, welche rechtlichen Grundlagen dies betrifft und wie die Höhe und Dauer fiktiver Einkünfte bestimmt werden.

Der Umfang der Erwerbsobliegenheit variiert je nach dem spezifischen Unterhaltsverhältnis. Minderjährige Kinder, die Unterhaltsansprüche geltend machen, unterliegen grundsätzlich keiner Erwerbsobliegenheit. Eltern, die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber minderjährigen Kindern haben, müssen dagegen eine verstärkte Erwerbsobliegenheit erfüllen. Verfügt eine Person über keine ausreichende Ausbildung, die eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht, kann eine Ausbildungsobliegenheit bestehen, insbesondere im Fall des nachehelichen Unterhalts. Bei fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten am aktuellen Wohnort könnte eine Umzugsobliegenheit bestehen.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Vermögensnutzungsobliegenheit. Diese besagt, dass eine Person bestehendes Vermögen in einem bestimmten Rahmen verwerten oder nutzen muss, um den eigenen Unterhalt zu decken oder Unterhaltsverpflichtungen zu erfüllen. Hierzu gehört die Einziehung von Vermögenswerten wie etwa Pflichtteilsansprüchen oder thesaurierten Gewinnen aus Unternehmensanteilen. Vermögen sollte möglichst risikofrei und ertragreich angelegt werden, was unter anderem bedeutet, dass Geldbeträge in verzinsliche Anlagen investiert werden sollten.

Ein weiteres Kriterium für die Zurechnung fiktiver Einkünfte ist das Verschulden des Unterhaltspflichtigen oder des Berechtigten. Die Fiktion eines Einkommens wird nur dann angewendet, wenn der Betroffene vorwerfbar keine angemessenen Anstrengungen unternommen hat, eine den Umständen entsprechende Erwerbstätigkeit zu finden. Ein Verlust des Arbeitsplatzes allein reicht nicht aus, um eine Einkommensfiktion zu begründen – hier ist es erforderlich, dass der Verlust des Einkommens durch ein schuldhaftes Verhalten, etwa durch Alkoholmissbrauch, verursacht wurde.

Die Obliegenheitspflichtverletzung muss ursächlich für das Fehlen von Einkünften sein, was bedeutet, dass bei entsprechenden Erwerbsbemühungen eine reale Erwerbsmöglichkeit vorhanden sein muss. Wenn eine solche Fiktion erfolgt, wird das Einkommen, das nach den individuellen Umständen des Betroffenen theoretisch erzielbar wäre, als fiktives Einkommen berücksichtigt. Die Höhe dieses fiktiven Einkommens orientiert sich an den realen Möglichkeiten des Unterhaltspflichtigen und wird unter Berücksichtigung von Faktoren wie tarifvertraglichen Vergütungen und statistischen Erhebungen festgelegt.