Eine Zahlung in Höhe von 110.000 DM an den Pflichtteilsberechtigten, stellt nicht dessen aktive Verlangung seines Pflichtteils dar.
Das OLG Braunschweig hatte im Februar 2025 über die Anwendbarkeit einer Pflichtteilsstrafklausel zu befinden (10. Zivilsenat) vom 13.02.2025 (10 W 11/25).
Dem Beschluss ging die Entscheidung des Amtsgerichts Göttingen vom 07.07.2023 (9 VI 80/23) voraus, welcher mit der Beschwerde angefochten wurde. Die Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Der Fall vor dem OLG
Im Jahr 1971 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament bei einem Notar. In dieser letztwilligen Verfügung setzten sich die Ehegatten zunächst gegenseitig zu Alleinerben ein und setzen Ihre beiden Kinder zu Schlusserben ein. Ferner nahmen die Eheleute folgende Pflichtteilsstrafklausel in ihr Testament auf:
,,Sollte eines unserer Kinder nach dem Tode des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, so wird es auch nach dem Tode des Letztversterbenden auf den Pflichtteil gesetzt.‘‘
Der Ehemann verstarb im Jahr 1976. Die Ehefrau veräußerte daraufhin im Jahr 1981 das Hausgrundstück sowie Ackerland für insgesamt 282.000 DM. Aus diesem Erlös gab sie ihrer Tochter 110.000 Euro.
Im Jahr 1984 setzte die Ehefrau erneut ein Testament auf. In ihrem Testament führte sie zunächst aus, dass sie ihrer Tochter die 110.000 Euro zugewendet habe, damit diese sich den Bau eines Hauses ermöglichen kann. Der Zuwendung läge eine Vereinbarung zugrunde zwischen ihr, ihrem Sohn und ihrer Tochter und dass damit alle Ansprüche der Tochter bezüglich des Nachlasses nach dem verstorbenen Ehemann abgegolten sein sollten. Da die Tochter mit der Zuwendung mehr erhalten habe, als ihr nach dem Nachlass des Ehemanns zustünde, verzichte diese deshalb ihr und ihrem Sohn gegenüber auf jegliche Ansprüche wegen des Hausgrundstücks. Die Tochter unterschrieb die entsprechende Erklärung, welche die Ehefrau ihrem Testament beifügte. Ferner erklärte die Ehefrau in ihrem Testament, dass als Ausgleich für die Zuwendung, die ihre Tochter bereits zu ihren Lebzeiten erhalten habe, ihr Sohn nach ihrem Tod das Hausgrundstück vorab allein erhalten soll. Im Anschluss setzte sie für ihr restliches Vermögen ihre Tochter sowie ihren Sohn zu Miterben ein.
Nach dem Tod der Ehefrau im Jahr 2022 beantragte der Sohn im Erbschein als Alleinerbe ausgewiesen zu werden, weil er behauptete seine Schwester hätte nach dem Tod des Vaters durch die Zahlung in Höhe der 110.000 Euro ihren Pflichtteil erhalten und damit sei die Pflichtteilsstrafklausel ausgelöst worden.
Die Tochter wendete hingegen ein, ihre Mutter habe ihr das Geld nicht als Pflichtteilszahlung zugewandt. Insbesondere habe sie nie eine Erklärung abgegeben, dass sie ihren Pflichtteil nach dem Tod ihres Vaters gefordert habe.
Wie ist die Rechtslage?
Die Auslegung eines Testaments erfolgt immer unter Berücksichtigung des Willens des Erblassers, welcher sich aus den Gesamtumständen ergibt. Dabei muss sich der Wille des Erblassers im Testament zumindest andeuten.
Wenn Ehegatten zu Lebzeiten ein gemeinsames Testament errichten, in dem sie sich gegenseitig bedenken und ihre Kinder als Schlusserben einsetzen, lösen diese sogenannten wechselseitigen Verfügungen eine Bindungswirkung aus. Die Bindungswirkung bewirkt, dass nach dem Tod des Erstversterbenden der Überlebende die testamentarischen Regelungen nicht mehr abändern kann (es sei denn, dies wird zusätzlich vereinbart). Dies erfüllt den Zweck, dass der vorverstorbene Ehegatte die Sicherheit erhält, dass die getroffenen erbrechtlichen Verfügungen auch nach seinem Tod erfüllt werden. Aufgrund der Bindungswirkung durch das Ehegattentestament ist daher das eigenhändige Testament der Mutter unwirksam. Es gilt weiterhin das Ehegattentestament und somit die darin angeordnete Erbfolge.
Eine Pflichtteilsstrafklausel kann grundsätzlich in ein Testament aufgenommen werden. Die Schlusserbenstellung steht dann unter der auflösenden Bedingung der Geltendmachung des Pflichtteils nach dem ersten Erbfall.
Eine Pflichtteilsstrafklausel verfolgt im Wesentlichen drei mögliche Zwecke:
- Dem überlebenden Ehegatten soll der Nachlass ungeschmälert für seine eigene bestmögliche Versorgung zur Verfügung stehen.
- Der überlebende Ehegatte soll nicht persönlich und wirtschaftlich durch die Pflichtteilsforderungen der Kinder belastet werden.
- Es soll Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Schlusserben hergestellt werden und derjenige, der sich bei Eintritt des ersten Erbfalls ,,loyal‘‘ verhalten hat, soll belohnt werden.
Was hat das Gericht entschieden?
Wann wurde der Pflichtteil ,,verlangt‘‘ um die auflösende Bedingung der Pflichtteilsstrafklausel auszulösen? Voraussetzung für ein aktives Verlangen des Pflichtteils ist, eine von gewisser Ernsthaftigkeit und Intensität gekennzeichnete Interessenwahrung. Ob dies vorliegt, ist aus der Sicht des Erben unter Zugrundelegung des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln. Der Schlusserbe muss in objektiver Hinsicht den Pflichtteil ausdrücklich, deutlich und ernsthaft geltend machen und in subjektiver Hinsicht dabei bewusst – in Kenntnis der Verwirkungsklausel – handeln. Es reicht für das Auslösen der Pflichtteilsstrafklausel hingegen nicht aus, dass die Mutter die Zuwendung an ihre Tochter gezahlt hat. Ferner hat der darlegungspflichtige Sohn nicht vortragen, dass seine Schwester das Wort ,,Pflichtteil‘‘ im Zusammenhang mit der Zuwendung je benutzt habe.
Zudem konnte das Gericht auch kein sanktionsbewehrtes Verhalten der Tochter feststellen. Dies folgt vorwiegend daraus, dass die Mutter ihre Tochter in ihrem eigenhändigen (unwirksamen) Testament als Erbin eingesetzt hat und sie grade nicht enterbt hat. Sie hat dem Sohn das Hausgrundstück vorab zugewandt, um die Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Auch in der dem Testament angehängten Vereinbarung wird nicht von der Abgeltung eines Pflichtteils gesprochen.
Die Schutzzwecke einer Pflichtteilsstrafklausel wurden auch nicht berührt. Insbesondere ergibt sich durch die Auslegung der Vereinbarung, dass die Ehefrau ihrer Tochter das Geld freiwillig zugewandt hat. Der Tochter ist kein aktives Verlangen ihres Pflichtteils nachzuweisen, mit dem sie deutlich gemacht hätte entgegen dem Willen der Erblasser hinsichtlich des Zuflusses aus dem elterlichen Vermögen nicht bis zum Tod des Letztversterbenden warten zu wollen.
Sollten Sie Fragen zu Pflichtteilsstrafklauseln in Testamenten, zum Pflichtteilsrecht oder zu sonstigen Themen im Erbrecht haben, unterstützen wir Sie gerne. Kontaktieren Sie uns gerne per E-Mail oder rufen Sie uns in unserer Kanzlei an, um mit einem Anwalt in Düsseldorf zu sprechen.
,,Pflichtteilsstrafklausel: Wann wurde der Pflichtteil ,,verlangt‘‘?‘‘ von Anna Mallwitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin